IMI-Analyse 2025/25 - in AUSDRUCK September 2025
Türkei als Gashub für Europa
Energie aus den Krisenherden der Region befeuert durch türkischen und westlichen Imperialismus.
von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 8. September 2025
Die Türkei hat mit ihrer Lage zwischen Asien und Europa eine sehr gute Ausgangsposition, um vom transkontinentalen Handel zu profitieren. Besonders gewinnbringende Transitgebühren lassen sich gerade bei den Hauptexportgütern der (nord- und süd-)östlich der Türkei gelegenen Regionen erzielen: fossilen Energieträgern. Gas-Pipelines, die durch feste Abnahmeverträge sichere Einkünfte versprechen und die geopolitischen Verbindungen zu den Abnehmerländern in Europa stärken, durchkreuzen das Land in alle Richtungen – und es sollen noch weitere hinzukommen. Gas kommt aus Russland, Aserbaidschan und dem Iran, Öl aus Aserbaidschan und Irak – alles Länder, die in militärische Konflikte verwickelt sind. Bisher importiert die Türkei über 95% ihres heimischen Gasverbrauchs, 70% davon über Pipelines aus den genannten Ländern und 30% als Flüssiggas, besonders aus Algerien und den USA. Kürzlich entdeckte Gasvorkommen in der exklusiven wirtschaftlichen Zone der Türkei im Schwarzen Meer werden seit 2023 wirtschaftlich genutzt. Sie steigerten nicht nur die Profite und die Hoffnung auf mehr. Analysten behaupten auch, die Entdeckung eigener Vorkommen würden die Rivalitäten um die geplante EastMed Pipeline verringern, gegen die die Türkei wegen ihrer Ansprüche auf Zypern energisch vorging.1 Doch das Bauen oder Verhindern von Pipelines entspringt allzu oft nicht nur wirtschaftlichem, sondern auch politischem Kalkül. Sie gehen nicht selten einher mit militärischem Vorgehen.
Transadriatitische Pipeline – TAP
Die 2020 fertiggestellte Gasleitung führt von der türkisch-griechischen Grenze durch Griechenland und Albanien und durch die Adria nach Italien, von wo aus das Gas im EUropäischen Netz verteilt werden kann, und hat ein Volumen von 20 Mrd. Normkubikmetern (Nm³). Das Gas darin kommt aus der TANAP (Transanatolische Pipeline), also aus Aserbaidschan. Sie ist in der Schweiz registriert und gehört zu gleichen Teilen – jeweils 20% – fünf Energiekonzernen: einem aserbaidschanischen, britischen, italienischen, belgischen und spanischen. Die initiierende Schweizer Axpo Holding hat ihre Anteile abgestoßen und stattdessen intensiv in aserbaidschanische Gasunternehmen investiert.
Türkische Gasvorkommen
Nach offenbar intensivierten Explorationsbemühungen hat die Türkei kürzlich ein weiteres Gasfeld im Göktepe-3 Sektor des Schwarzen Meer entdeckt, welches eine Menge von 75 Mrd. m³ beinhalten soll. 2020 wurde das Sakarya Gasfeld mit 320 Mrd. m³ entdeckt, in dem bis heute wohl 10 Mio. m³ pro Tag gefördert werden. Die Menge soll sich in den nächsten Jahren auf bis zu 40 Mio. m³ pro Tag erhöhen.2 Einen großen Anteil an dem jährlich rund 50 Mrd. m³ betragenden – und natürlich weiterhin wachsenden – Gasverbrauch der Türkei macht dies dann aber auch noch nicht aus.

Turkstream und Bluestream
Durch die beiden Pipelines wird Gas aus Russland importiert, wobei die im Osten Anatoliens ankommende Bluestream nur den heimischen Markt in der Türkei beliefert und die im europäischen Teil ankommende Turkstream die Hälfte des rund 31 Mrd. Nm³ umfassenden Volumens über die Balkanstream direkt an die Abnehmer in Osteuropa, besonders Ungarn und Serbien, aber auch Griechenland, Rumänien und andere weiterleitet. Entgegen der Beteuerung Europas, nun völlig unabhängig von russischem Gas zu werden, steigerte sich die über Turkstream nach Europa importierte Menge russischen Erdgases seit 2020 jährlich3 – was jedoch sicher auch mit dem Wegbruch des zuvor durch NordStream und Pipelines durch Polen und die Ukraine importierten Gases zusammenhängt. Die starke Abhängigkeit von russischem Gas, das über 40% der türkischen Gasimporte ausmacht, bedingt auch die im Westen oft gerügte geopolitische Nähe des NATO-Staats zu Russland.4
Transanatolische Pipeline – TANAP
Die Tanap ist die längste Pipeline des sogenannten südlichen Gaskorridors, der das Gas des Schah-Deniz-II Gasfelds nahe der aserbaidschanischen Hauptstadt, Baku, vom kaspischen Meer über Georgien und die Türkei und dann die TAP nach Europa transportiert. Bisher transportiert sie eine Menge von 16 Mrd. Nm³ pro Jahr, die Kapazität soll in den kommenden Jahren jedoch auf 24 und dann 31 Mrd. Nm³ erhöht werden. Sie gehört zu 58% der staatlichen Ölgesellschaft von Aserbaidschan, zu 30% dem Energiekonzern des türkischen Staats BOTAŞ (der ein Monopol auf das inländische Gasgeschäft hat) und zu 12% British Petroleum (BP). Bezeichnenderweise fließt sie eben durch Georgien und nicht direkt durch Armenien. Auch als Aserbaidschan 2023 die Republik Arzach (früher Bergkarabach) einnahm und der größte Teil der ethnisch-armenischen Bevölkerung daraufhin nach Armenien floh, stand die Türkei hinter Aserbaidschan und lieferte Waffen. Dem Wunsch nach einer zusammenhängenden Einheit der Turkvölker, zu denen die Aseris gehören, steht Armenien im Weg. Auch Turkmenistan, das gegenüber Aserbaidschan am kaspischen Meer liegt, hofft, mit einer weiteren, an den südlichen Gaskorridor angeschlossen zu werden.5
Iran, Irak und Syrien
Während die Gasimporte des drittgrößten Importeurs, Iran, ein Fenster der Kooperation zwischen den zwei in verschiedenen Bereichen wie Irak und Syrien konkurrierenden Regionalmächten darstellen, scheinen die Absprachen über Öl, das in einer Pipeline vom Irak in die Türkei fließt, lange nur mit der kurdischen Selbstverwaltung im Irak selbst gelaufen zu sein. Zumindest urteilte das Handelsgericht der Internationalen Handelskammer 2023,6 dass ein Export von Öl aus der autonomen Region ohne Zustimmung (und Profitanteile) der Zentralregierung unzulässig sein. Die kurdische Selbstverwaltung im Irak scheint der Türkei, im Gegensatz zu Rojava in Syrien, eher in die Hände zu spielen und zu helfen, irakische Interessen und Souveränität zu unterminieren. Dies hinderte die Türkei jedoch auch nicht daran, in das Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung im Irak einzufallen und Gebiete zu besetzen, wie in den letzten Monaten geschehen.
In Syrien scheint die Türkei seit der Machtübernahme al-Scharaas nun einen weiteren großen Absatzmarkt für den (Weiter-)Verkauf von Gas gefunden haben.7
Qatar-Turkey Gas Pipeline
Mit dem besonders durch die Türkei vorangetriebenen Regierungswechsel in Syrien öffnet sich auch wieder das politische Fenster für die seit 2010 geplante Pipeline vom katarisch-iranischen SouthPars/NorthDome-Gasfeld, welche Gas von Katar über Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien in die Türkei leiten würde. Der syrische Langzeitherrscher al-Assad stellte sich noch dagegen. Manche Analysten sahen gar die Rivalität um diese Pipeline mit einer ursprünglich vom Iran an der Türkei vorbei geplanten Pipeline als den Grund für den syrischen Bürgerkrieg,8 da die von der Pipeline profitierenden Golfstaaten die Rebellen unterstützten und der Iran und Russland, welche besonders vom Ausbleiben der Pipelines profitierten, al-Assad halten wollten. Der türkische Energieminister bekundeten nach al-Assads Sturz schnell Interesse: „das Projekt könne wiederbelebt werden, wenn Syrien seine (territoriale) Integrität und Stabilität wiedererlangt.“
EastMed Pipeline
Besonders viel Säbelrasseln gab es um die bis heute nicht gebaute EastMed Pipeline. Sie sollte Gas vom israelischen Leviathan-Gasfeld und dem zypriotischen Aphrodite-Gasfeld über Zypern nach Kreta und dann auf das griechische Festland bringen. Von dort aus sollte eine weitere Pipeline namens Poseidon das Gas nach Italien und ins europäische Gasnetz liefern. Die EU gab dem Projekt 2017 eine Anschubfinanzierung von 35 Mio. Euro für technische, ökonomische und ökologische Studien und der damalige US-Staatssekretär Mike Pompeo war 2019 bei der Unterzeichnung des Vertrags zwischen Israel, Zypern und Griechenland in Tel Aviv dabei. Gegen diese mächtigen Unterstützer:innen stellte sich jedoch die Türkei, die einerseits rund ein Drittel Zyperns besetzt hält bzw. von einer Marionetten-Regierung regieren lässt und deshalb Anteile aus dem Aphrodite-Gasfeld für Nordzypern fordert (dem Zypern nur im Falle einer Eingliederung als föderale Einheit stattgeben will). Andererseits sah die Türkei ihre eigene Rolle als Gashub gefährdet. Als Antwort führte sie Probebohrungen nahe griechischer Inseln durch, wo die Seegrenzen dieser beiden lang verfeindeten Nationen noch immer nicht mit beidseitigem Einvernehmen gesteckt sind. Es kam zu gefährlichen Manövern mit der griechischen Marine. Frankreich stellte sich, motiviert durch den Verkauf neuer Rafale-Kampfjets, hinter Griechenland. Die USA stoppte den Verkauf von F-35 Kampfjets an die Türkei. Als die Türkei mit der von ihr auch mit Söldnern unterstützten Regierung Libyens 2019 eine exklusive Wirtschaftszone (EEZ) auf dem Mittelmeerabschnitt zwischen ihren beiden Ländern vereinbarte, antworteten Griechenland und Ägypten 2020 mit einer überschneidenden EEZ. 2022 beendete die US-Regierung unter Biden ihre Unterstützung für das Projekt. Offiziell wurde dies damit begründet, dass es ökonomisch und ökologisch nicht sinnvoll sei – eine Ansicht, die Aktivist:innen entlang der Route schon lange proklamierten. Eine Pipeline, die israelisches Gas in die Türkei und von dort aus nach Europa bringt, scheint zumindest für diese beiden vormaligen Kontrahenten eine Lösung zum beiderseitigen Profit zu sein. 2022 trafen sich hochrangige Vertreter in der Sache.9 Mit dem aktuellen Krieg Israels gegen die Palästinenser:innen ist das für Erdogan politisch nicht machbar. Aber das Gas fließt ja noch lange.
Anmerkungen:
1 Wayne C. Ackerman: Turkey: A new emerging gas player with resources and infrastructure. Middle East Institute, 15.6.2022.
2 Fareed Rahman: More gas discoveries expected in Turkey after $30bn reserve find. thenationalnews.com 18.5.2025
3 Siehe: European natural gas imports. Figure 3, bruegel.org letzte Aktualisierung: 24.7.2025
4 Murat Temizer: Türkiye’s gas imports down 7.64% to 50.48 billion cubic meters in 2023. aa.com.tr
20.6.2024
5 Umud Shokri: From Caspian to Continental: Türkiye’s Bid to Supply Europe with Turkmen and Azeri Gas.
trendsresearch.org 12.5.2025
6 Ahmed Rasheed and Rowena Edwards: Iraq halts northern crude exports after winning arbitration case against Turkey reuters.com 25.3.2023
7 Siehe IMI-Studie-2025/3. Syriens zweiter Frühling? oder den Beitrag von Alexander Friedrich in dieser Ausgabe.
8 Charis Chang zitiert in „Is the fight over a gas pipeline fuelling the world’s bloodiest conflict?“ (news.com.au 2.12.2025) Harvard Professor Mitchell A. Orenstein und Major Rob Taylor, Dozent am US Army’s Command and General Staff College.
9 Fulya Ozerkan: Turkey dreams of far-fetched gas pipeline with Israel. timesofisrael.com 23.5.2022